Das Thema der Digitalisierung ist, im wahrsten Sinne, in aller Munde. Dabei geht es über den bloßen Meinungsaustausch zu dieser Sache weit hinaus, denn wir reden nicht nur von der bevorstehenden Einführung digitaler Technologien in verschiedene Bereiche unseres Alltags, sondern verspeisen bereits täglich die Produkte dieser, ob bewusst oder nicht.
Wer sich darunter ausschließlich industriell verarbeitete Lebensmittel vorstellt, irrt, da sogar unverpackte Kost wie Eier und Gurken mit Codes markiert sind. Ein gescannter Code kann uns Aufschluss über den Kaufpreis an der Supermarktkasse geben und Informationen über die Herkunft und Anbauart, sowie eine Auflistung der Nähr- und Inhaltsstoffe eines Lebensmittels in einer App auf unserem Smartphone aufzeigen.
Somit sind unsere Nahrungsmittel vom Anbau bis auf unseren Esstisch von digitalen Technologien geprägt.
Spätestens das Leben während der verschärften Pandemie-Maßnahmen hat vielen von uns erst vor Augen geführt, wie verknüpft unsere Nahrungsaufnahme mit der Digitalisierung ist.
Da Restaurantbesuche und die Inanspruchnahme von Lieferdiensten stark eingeschränkt oder gar unmöglich waren und das öffentliche Leben generell sehr begrenzt wurde, verbrachten die Menschen die meiste Zeit zu Hause und somit auch in ihren Küchen. Manche mussten das Zubereiten von Mahlzeiten erst lernen, während andere den Wert des Kochhandwerks als Mittel zum Zweck oder sogar als Hobby wiederentdeckten.
Auf der Suche nach kulinarischer Inspiration und klaren Anweisungen klickten wir uns durch das World Wide Web, machten Screenshots von Zutatenlisten gewünschter Gerichte, schauten filmische Koch-Tutorials, schrieben Einkaufslisten und gingen daraufhin in den Supermarkt oder gaben via App eine Bestellung beim lokalen Lebensmittel-Lieferservice ab.
Diejenigen, die es sich noch einfacher machen wollten, abonnierten online individuell anpassbaren Kochboxen, um sich eine regelmäßige Nährstoffzufuhr zu sichern. Wählen konnte man aus einer Vielzahl verschiedener Gerichte und bekam ein Paket mit allen nötigen Zutaten, abgewogen und portioniert, inklusive Kochanleitung bis an die Haustür geliefert.
So haben wir wieder am eigenen Körper spüren können, wie wohltuend und befriedigend selbst zubereitetes und frisches Essen sich auf unsere Stimmung und Verdauung auswirkt.
Seither hat sich das öffentliche Leben normalisiert und die beschriebenen Dienste sind Bestandteil unseres Alltags geworden. Heutzutage sind wir dauerhaft online, das Smartphone begleitet uns buchstäblich auf Schritt und Tritt, weshalb wir zusätzlichen Informationen und Reizen ausgesetzt sind, die meistens nicht einmal in unser Bewusstsein durchdringen.
Es überrascht also nicht, dass aufgrund von zunehmenden externen Stressfaktoren es für viele Menschen wichtiger denn je geworden ist, für die eigene Gesundheit zu sorgen und sich nach einem Ausgleich in ausgewogener Ernährung und regelmäßiger Bewegung zu sehnen.
Hinzu kommt, dass der moderne Mensch jederzeit die Möglichkeit hat und oft auch den Wunsch verspürt mit seinem Handy Momentaufnahmen zu machen und sie mit anderen zu teilen, insbesondere dann, wenn es sich beim festzuhaltenden Objekt um sein Essen handelt. Ob selbst gekocht oder vom Küchenpersonal eines Restaurants eindrucksvoll angerichtet, das abgebildete Mahl wird auf einem Sozialen Netzwerk hochgeladen und den Reaktionen und Kommentaren der Follower überlassen.
Die Soziologie-Professorin Deborah Lupton widmete diesem Phänomen einen ganzen Aufsatz mit dem Namen „Cooking, Eating, Uploading: Digital Food Cultures“. Lupton beschreibt darin den Einfluss der digitalen Medien, die anhand unserer Aktivitäten auf diesen, unser Essverhalten und unsere Essgewohnheiten dokumentieren, überwachen und somit auf unsere Identität, soziale Beziehungen und Körperwahrnehmung einwirken können.
Einige von uns haben ihre analoge Armbanduhr längst abgelegt und tragen stattdessen Sportuhren, -armbänder und Smartwatches oder schmücken einen ihrer Finger mit einem Smart-Ring im eleganten Design. All diese Wearables sind mit der entsprechenden App auf unserem Handy gekoppelt.
Dazu kommen Sport- und Kalorienzähler-Apps, die uns auf dem Weg zur Selbstoptimierung helfen sollen, das Wissen über und Verständnis für unseren Körper zu vertiefen. In dem Buch mit dem vielsagenden Titel „Foodcode – Wie wir in der digitalen Welt die Kontrolle über unser Essen behalten“ legen die Autoren Olaf Deininger und Hendrik Haase eindrucksvoll dar, welche und vor allem wie viele Daten, wir mittels digitaler Technologien über uns sammeln lassen: „Bewegungsprofile, Anzahl von Schritten, erklommene Treppen, Aufwach- und Einschlafzeitpunkte, Schlafdauer, Biorhythmus, Herz- und Atemfrequenz, Stimmmodulation, verzehrte Nahrungsmittel, Kalorien, Kohlenhydrate, Eiweiß und Fett. […] Zuwachs- und Schrumpfungsraten, Entwicklungen, Fortschritte. Außerdem Geodaten, Daten von Kontakten, Einkäufen, Transaktionen. So entstehen große Mengen vernetzter Gesundheitsdaten“.
Die Digitalisierung im Rahmen der Ernährung bietet praktische, hilfreiche und nicht geahnte Möglichkeiten, gleichzeitig aber auch Herausforderungen und Probleme. Sporttreibende Nicht-Profis setzen Pläne wie noch nie zuvor in die Tat um, halten dank diverser Hilfsmittel ihre Nahrungsaufnahme und körperliche Aktivitäten fest, hinterfragen die Qualität und Herkunft von Lebensmitteln und informieren sich über passende Nahrungsergänzungsmittel, die sie beim Verfolgen ihrer Ziele unterstützen sollen.
Während es den einen gelingt, den Überblick über das Leistungsspektrum digitaler Technologien zu behalten und diese sinnvoll und bewusst zu nutzen, können sich andere auf ihre quantifizierten, analysierten und ausgewerteten Daten versteifen, sich mit anderen Mitgliedern der Online-Community messen und vergleichen, sodass sie Gefahr laufen, Signale und Gefühle ihres Körpers zu übersehen.
Natürlich kann es hilfreich sein, seine Kalorien und Makronährstoffe zu tracken, wenn man beispielsweise einem Ausdauersport verfallen ist und nun mehr Energie benötigt oder gerade dabei ist, Muskelmasse aufzubauen oder erhalten zu wollen. Letztendlich zählt ein reflektierter und achtsamer Umgang mit sich selbst und den Mitteln, die einem zur Verfügung stehen.
Auf fast alle Fragen bezüglich der optimalen und effizientesten Ernährungs-, Bewegungs- und Lebensweise geben Suchmaschinen allerlei Antworten, sowohl in Form von evidenzbasierten Informationen als auch fehlerhaften und im schlimmsten Fall schädlichen Aussagen.
Lifestyle-Influencer, deren Followerzahlen denen der Weltstars gleichen, koexistieren mit Professoren renommierter Universitäten auf Sozialen Netzwerken. Erstere teilen Fotos und Videoaufnahmen ihrer Körper, ihres Essens und ihrer Aktivitäten, was die beobachtende Person zum Trugschluss führen kann, die gleiche Konstitution und Aussehen durch Nachahmung erreichen zu können.
Angesehene Experten hingegen nutzen ihre Präsenz auf Social Media, um Fachwissen und aktuelle Erkenntnisse aus der Wissenschaft nicht nur Studierenden in Vorlesungssälen zu präsentieren, sondern auch der breiten Masse. Dies ist jedoch meist nur für digitalaffine Personen zugänglich, während digital benachteiligten Menschen neue Möglichkeiten der Digitalisierung vorenthalten sind.
Da viele von uns bereits arbeitsbedingt viel vor einem Bildschirm sitzen, ist zu empfehlen, die Bildschirmzeit privat bei einem Minimum zu halten. Vor allem ein paar Stunden vor dem Schlafengehen sollten wir unsere Smartphones weglegen, die Lichtquellen dimmen und unserem Nervensystem Ruhe und Entspannung gönnen, denn einer der Grundpfeiler unserer ganzheitlichen Gesundheit ist Schlaf.
Wenn wir uns online gewissenhaft informieren und kritisch mit Behauptungen und Inhalten auseinandersetzen, verringern wir den passiven Konsum, der unser Wohlsein gefährdet und Essverhalten negativ beeinflusst. Beim Streben nach einem gesünderen, stärkeren und fitteren Selbst dürfen wir nicht vergessen, dass Faktoren wie gutes Stressmanagement und soziales Wohlbefinden die gleiche Wichtigkeit haben wie regelmäßige körperliche Aktivität, ausgewogene Ernährung und Schlaf.
Am besten besprichst du im Voraus jegliche Änderungen in deiner Ernährung mit medizinischem Fachpersonal.
Deininger, Olaf/ Haase, Hendrik (2021): Foodcode – Wie wir in der digitalen Welt die Kontrolle über unser Essen behalten. München: Verlag Antje Kunstmann GmbH.
Huberman, Andrew (2021): Toolkit for Sleep, Huberman Lab, online unter Toolkit for Sleep – Huberman Lab
Lupton, Deborah (2018): Cooking, Eating, Uploading: Digital Food Culures. Research Gate, online unter https://www.researchgate.net/publication/305945887_Cooking_Eating_Uploading_Digital_Food_Cultures
Rolff, Marten (2021): Digitalisierung in der Küche – „Es wird einen Kampf für Genusskultur geben müssen“. Süddeutsche Zeitung, online unter https://www.sueddeutsche.de/stil/ernaehrung-digitalisierung-foodcore-hendrik-haase-olaf-deininger-esskultur-algorithmen-1.5210386
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