Die meisten von uns kennen Cortisol als Stresshormon. Während wir Adrenalin, welches ebenfalls ein Stresshormon ist, oft mit einem Anflug positiver Aufregung in Verbindung setzen, assoziieren wir Cortisol mit Unruhe und Angespanntheit. Cortisol ist jedoch ein lebenswichtiges Hormon für unser Immunsystem, unsere Gedächtnisleistung und ganzheitliche Gesundheit. Wie bei so vielen Dingen im Leben ist die Menge entscheidend, aber auch die Dauer und der Zeitpunkt der Freisetzung dieses Steroidhormons.
Wenn unser Körper eine Bedrohung wahrnimmt, ob in Form einer zugefügten Verletzung oder einer emotional belastenden Nachricht, kann er sich auf diese einstellen, indem er sich in den Stresszustand versetzt. Denn Stress zieht Anpassung nach sich, die wiederum der Lebenserhaltung dient.
Zuerst nimmt der Hirnbereich namens Hypothalamus Stressoren aus der Außenwelt wahr und schüttet daraufhin Releasingfaktoren aus, um die Hirnanhangdrüse, die sogenannte Hypophyse, zu stimulieren. Daraufhin gibt die Hypophyse vermehrt ACTH (Adrenocorticotrophes Hormon) ab, was auf die Nebennieren einwirkt. Die Nebennierenrinde setzt schließlich das Stresshormon Cortisol frei.
Cortisol ist für den Ab- und Umbau von Eiweißen zu Glucose zuständig. Es hemmt die Proteinbiosynthese und regt den Proteinabbau an, damit freie Aminosäuren in der Leber zu Glucose umgewandelt werden können. Dies führt zu einem Anstieg des Blutzuckerspiegels, was unserem Körper Energie zur Verfügung stellt und uns wachsam werden lässt. Da die Proteinbiosynthese gehemmt und die Antikörperproduktion verringert wird, kommt es zu einer langsameren Abwehrreaktion des Körpers, weshalb Cortisol zusätzlich entzündungshemmend wirkt.
Das Leben bietet viele unterschiedliche Stressoren, die den Cortisol- und Adrenalinspiegel steigen lassen. Entscheidend ist, dass diese Phasen von angemessener Dauer und der Tageszeit entsprechend sind. Stress ist nicht immer gleich schlecht, denn ein gesundes Maß davon mit einer anschließenden Erholungsphase stärkt unsere Widerstandsfähigkeit und Selbstsicherheit. Wenn jedoch angemessene Erholungsphasen über einen längeren Zeitraum fehlen und unser Körper somit in Dauerstress gerät, kann diese Belastung zu einer Gefahr für den Organismus werden.
Ein anhaltender hoher Cortisolspiegel kann zu starker Gewichtszunahme, narbenähnlichen Hautveränderungen, Akne, Bluthochdruck, Diabetes, Knochenschwund, Muskelschwäche und bei Frauen auch noch zu Zyklusstörungen und vermehrtem Haarwuchs führen.
Ein dauerhaft niedriger Cortisolspiegel hingegen kann zu einem Abfall in unserer alltäglichen Performance, Müdigkeit, Trägheit, Übelkeit und niedrigem Blutdruck führen.
Unser Cortisolspiegel ist abhängig vom natürlichen Tagesrhythmus, was für unseren Alltag bedeutet, dass die höchste Konzentration von Cortisol am Morgen nach dem Aufwachen erfolgen sollte und die niedrigste in der Nacht. So lässt sich die Cortisolfreisetzung gut timen, denn die besagte Substanz soll uns zum Aufstehen bringen, in Bewegung versetzen und den Tag angehen lassen. Deshalb ist es von großer Wichtigkeit seine Augen innerhalb der ersten 30 Minuten nach dem Aufwachen natürlichem Sonnenlicht auszusetzen. Und das nicht durch ein Fenster oder eine Sonnenbrille, sondern mit dem bloßen Auge. Bei klarem Himmel und Sonne reichen 10 Minuten und bei stark bewölktem Wetter kann der Prozess bis zu 30 Minuten in Anspruch nehmen.
Dabei geht es nicht darum, direkt in die Sonne zu schauen, sondern seinen Blick in die Ferne schweifen zu lassen. Denn wenn wir am Morgen dafür sorgen, dass unser Körper genug Cortisol freisetzt, bereiten wir ihn gleichzeitig für einen guten und ruhigen Schlaf am Abend vor. Zusätzlich hat ein Cortisolhoch am Morgen einen positiven Einfluss auf unser Immunsystem, unseren Stoffwechsel und unsere Konzentrationsfähigkeit im Laufe des Tages.
Normale Werte bei Erwachsenen betragen bei einer Blutabnahme zwischen 6 und 10 Uhr morgens 140–600 nmol/l und zwischen 20 und 24 Uhr abends 20–170 nmol/l (Nanomol pro Liter).
Unser Stresssystem ist so veranlagt, dass wir trotz Frustration und Unbehagen, einen Energieschub wahrnehmen können, der uns aufmerksam werden lässt und in körperliche oder mentale Bewegung versetzt und uns die Möglichkeit gibt, unser Verhalten zu verändern und anzupassen. Wenn Cortisol in den Blutstrom gelangt, kann es sich mit Rezeptoren in Gehirnarealen verbinden, die nicht nur für die Wahrnehmung von Angst und Gefahr verantwortlich sind, sondern auch mit Arealen, die Einfluss auf den Lernprozess, die Gedächtnisleistung und Neuroplastizität haben.
Unter Neuroplastizität versteht man die Fähigkeit des Gehirns sich als Reaktion auf Erfahrung zu verändern, zuerst stimuliert durch die Aufmerksamkeit und den Fokus und oft auch einem gewissen Maß an Erregung, also Stress. Dr. Manuela Lenzen schreibt in ihrem Artikel „Mit Stress besser verlernen?“ über die paradoxe Wirkung von Stress auf den Lern- und Erinnerungsprozess: „Wenn wir also etwas unter Stress lernen oder direkt nach dem Lernen gestresst werden, dann wissen wir 24 Stunden später noch mehr von dem Gelernten, als wenn wir es ohne Stress gelernt hätten. Wenn wir aber unmittelbar vor dem Abrufen des Gelernten gestresst werden, erinnern wir uns schlechter“.
Neben dem Rausgehen und Wahrnehmen des Sonnenlichts am Morgen können wir unsere Körperreaktionen auf Stress damit beeinflussen, indem wir unsere Stressschwelle anheben. Dies hat zur Folge, dass Stresshormone wie Cortisol weniger schnell ausgeschüttet werden und der Körper Stressfaktoren resistenter begegnen kann.
Dabei gilt es für sich eine Beschäftigung zu finden, der man mehrmals in der Woche nachgehen kann, welche den Körper Cortisol freisetzen lässt, wie beispielsweise kaltes Duschen und Eisbaden oder eine intensive sportliche Aktivität. So steigert man auf eine gesundheitsfördernde Art sein Energie- und Aufmerksamkeitsniveau für den Tag und hält sich auch noch körperlich fit und stark.
Hierbei ist jedoch wichtig zu verstehen, dass unser Körper zwischen einer beunruhigenden Nachricht und einer kalten Dusche nicht unterscheidet, da beides gleichermaßen Stress in uns hervorruft. Auch wenn man sich bei einer kalten Dusche einredet, dass besagte Praktik gut für einen sei und dass man diese genieße, ändert es nichts an der Wirkung von Cortisol auf den Körper und das Gehirn. Dennoch kann es zur Freisetzung anderer Moleküle wie Dopamin und Serotonin führen, welche dabei helfen, die Reaktion auf Stresshormone abzufedern.
Bei Dopamin handelt es sich um den Vorboten von Adrenalin, was heißt, dass sobald wir uns einreden etwas gern zu machen, uns dabei jedoch nicht komplett belügen, im gewissen Maße die Freisetzung von Adrenalin gesteigert werden kann, um beispielsweise noch ein Stück weiter zu laufen, ein paar Wiederholungen mehr durchführen oder einfach eine herausfordernde Situation durchstehen zu können. Unsere mentale Einstellung kann hierbei also als Trigger agieren, die die Ausschüttung einer chemischen Substanz, also von Adrenalin, zur Folge hat.
Letztendlich geht es darum sich der Cortisolfreisetzung in seinem eigenen Körper bewusst zu machen und die Verantwortung dafür zu übernehmen, seinen Cortisolspiegel zu regulieren. Sei es mit morgendlichen Spaziergängen, um ein Hoch in der Konzentration des Hormons im Blutkreislauf zu erzielen oder beim Anheben der eigenen Stressschwelle mit Eisbädern oder einem Set Burpees.
Ergänzt von regelmäßigen Ruhephasen, einem positiven und wohltuenden sozialen Umfeld und einer ausgewogenen und nährstoffreichen Ernährung, kann uns Cortisol bei unseren Vorhaben im Alltag optimal unterstützen. Befindet es sich im Gleichgewicht, bringt es unseren Körper und Geist in Bewegung, steigert unsere Aufmerksamkeit und stärkt unser Immunsystem.
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